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Metall Lunge / Dickdarm - Fachartikel von Andreas Noll

 

Artikel in der Fachzeitschrift "Qi" der AGTCM veröffentlicht

Wir als Adepten einer ziemlich alten, dazu noch eigentlich in grosser räumlicher und zeitlicher Ferne gebräuchlichen Medizin, sind auf Übersetzungen und Interpretationen angewiesen. Die Begrifflichkeiten stammen nun mal aus einer völlig fremden Sprache, die zudem aber – anders als bei uns- eine seit fast 2500 Jahren gepflegte Kontinuität gewahrt hat. Zumindest als Schriftsprache. Schon früh wurde in Wörterbüchern festgeschrieben, was diese Zeichen eigentlich bedeuten: sie wurden z.B. im etymologischen Wörterbruch Shuowen Jiezi ( 說文解字) dezidiert erklärt. Wer sich also über die chinesischen Begrifflichkeiten klar werden will, kommt an der Interpretation der Zeichen nicht vorbei. Das Schriftzeichen für Metall ist Jin 金 . Es besteht aus einem Dach oben, dem Zeichen für Erde und zwei (früher auch 4) kleinen „Nuggets“ und meint etwas Wertvolles, unter der Erde Verborgenes (siehe Abbildung aus „Chinese Characters, Dr.L.Wieger, S.J., 1915) . Wenn wir dies interpretieren und in den Kontext der 5 Wandlungsphasen bringen – zu dieser Zeit etwa 100 n.Chr. essentiell im chinesischen Denken der Han-Dynastie- so birgt die Erde das Metall. Jin 金 ist aber nicht irgendein Metall wie Eisen oder Kupfer, sondern es ist das Gold, das da unzerstörbar, unverrottbar geborgen werden kann. Es ist dasjenige Metall, das auch heutzutage bei Ausgrabungen in „alter Frische“ gefunden wird, das nicht nur in China für den Gebrauch an Kaiser- und Fürstenhöfen reserviert war. Gold lässt sich leicht formen und gestalten, es ist unvergänglich und dennoch weich und geschmeidig. Wie kein anderes Metall bewahrt es über Jahrtausende seinen gelben Glanz. Es ist die Essenz der Erde, nicht nur im wörtlichen, sondern auch im übertragenen Sinne der Wu Xing (5 Wandlungen/Wandlungsphasen 五行), wenn dort das Metall aus der Erde erwächst.
Metall ist die Essenz der Erde – die Erde erfüllt sich im Metall, so wie das Metall sich im Wasser, Wasser im Holz, Holz im Feuer und Feuer eben in der Erde erfüllt. Das „Ziel“ der Erde ist das Metall- und somit ihr Yin, das durch das Yang des Feuers genährt wird. Und so ist es auch beim Metall: es wird in seinem Yin aufgebaut und gestützt durch die Erde und strebt zum Wasser, zum Yin. Um noch einmal zurückzugreifen auf das Bild des Goldes: es ist glänzend wie die Sonne, die es auch symbolisiert und wofür es bei unzähligen Darstellungen unseres himmlischen Wärmespenders genutzt wird -des himmlischen, grossen Yang (Tai Yang 太陽). Gehoben wird es aus dem Yin der feuchten Erde (土, 地).
Dieses Streben zum Yin ist Charakteristikum des Metall: da es sich zum Wasser hin bewegt, tendiert es unweigerlich zur Härte, zum Stillstand und somit letztlich – zum Tod. So wie das Holz zum Feuer und zum Himmel/dem Herzen und Shen strebt.
Metall hat einen harten Yin-Anteil und einen weichen, flexiblen und – wie das Gold- auf den Himmel verweisenden Yang-Aspekt. Die -wie sicherlich allseits bekannt- sich einander bedingen, verknüpfen und ergänzen. 


Form und Inhalt
Die feuchte, schwammige Erde (man möge mir verzeihen, daß ich immer wieder auf diese Bilder zurückkomme) versteckt in sich ihre Essenz, das goldglänzende Metall, klar abgegrenzt zu seiner Umgebung wie die Nuggets (siehe Schriftzeichen) im Schlamm. In seiner Gestalt ist es, dieses unzerstörbare Metall, unendlich (durch Yang) formbar, bis auf Molekülstärke auswalzbar. Der Inhalt, das Gewicht als Substanz (Yin) ist immer gleichbleibend. Das ist auch das Bild der Dynamik des Metalls, wie wir es auch in der Wandlungsphase als Aspekt mikro-wie makrokosmischer Prozesse überall wiederfinden: Metall hat eine Form, die sich verändern kann nach innen und aussen. Eine Gestalt, die fest, aber nichtdestotrotz formbar das Innere, also den Inhalt abgrenzt und sichert. Ich schreibe diesen Beitrag im Herbst, der sich als Metall-Jahreszeit beweist: die Natur zeigt ihre Gestalt, die sich über den Lauf des Jahres zwar sichtbar verändert, sich aber letztlich bewahrt, wenn die Bäume ihre Blätter verlieren und ihre eigentliche Gestalt, die Äste und Stämme wie die Erde unter dem verdorrten Gras wieder im Frühjahr sichtbar sind. 


Körperlichkeit
Wir stehen und bewegen uns als absolute Unikate in dieser Welt. Wachsen in sie hinein – und gehen irgendwann aus ihr weg. Zwischendurch haben wir unsere Gestalt, unsere Form, die sich zwar (nach oben und zur Seite….) im Laufe der Lebenszeit verändert, aber letztlich immer uns selbst als Unikat umschliesst. Es gibt grosse und kleine Veränderungen dieser umschliessenden Form. Unmittelbar wahrnehmbar sind z.B. die Atmung oder der Pulsschlag. Im Grossen und Kleinen dehnt sich der Körper und fällt wieder zusammen – das ICH bleibt jedoch gleich, lediglich die umhüllenden Grenzen verändern sich und geben den Rahmen des ICH vor. Diese Gestalt, und mit ihr diese rhythmischen, pulsierenden Veränderungen sind eingebettet in die etwas längerfristigen Rhythmen des Entstehens und Vergehens. Für einen „kosmischen Augenblick“ ist der Körper des Menschen -sein Yin- somit eine relative Konstante. Ihn zu spüren ist uns meist erst im Rahmen von Störungen vergönnt, wenn – so die TCM-Sicht- Blockaden beispielsweise spüren lassen, „wo´s hakt“. Oder aber bei Übungen und bei einer Körpertherapie wie der Akupunktur. Denn die Seele spüren wir erst über den Körper.


Po 魄und Hun 魂
Die Auseinandersetzung mit der Umwelt und ihren Anforderungen, der tägliche erschöpfende Kampf bedürfen eines Organismus, der sich ständig und überall nach außen hin orientiert. Außen sind die Ziele, die Hindernisse und dann letztlich auch die zerstörerischen Kräfte, die –Schwachstellen des Gesamtsystems von Körper, Geist und Seele nutzend- die vielfältigsten „Krankheiten“ bewirken. Diese Extroversion ist notwendig für den Kampf, ebenso damit Verlust des Gefühls von Körperlichkeit und Sensibilität. Die Konfrontation mit dem Körper findet sich erst wieder im Burnout. Der leidende Körper wird aber als Last empfunden – und das behindert wiederum in ihrer Distanz die für die Erholungsphase notwendige Stärke der Ganzheit. 
Die beiden „Seelen“ Hun 魂und Po魄 – als survivals der Zhou-zeitlichen Dämonenmedizin in der heutigen, in unsere modernen und meist westliche Welt im Rahmen der Chinesischen Medizin für geistig-emotionale Dimensionen bemüht- definieren das Verhältnis zwischen dem Wirken und Drängen des Menschen nach außen und den Einwirkungsmöglichkeiten äußerer Impulse auf das Innenleben des Menschen. Die Hun-Seele steht in diesem Zusammenhang für das, was dem Menschen die „Selbstverwirklichung“ bringen kann: das Streben nach Realisierung eines Potentials, nach Außenwirkung im weitesten Sinne. Diese Hun-Seele erfüllt sich in der Ausstrahlung von Shen 神, in Bewusstheit und Präsenz, eben der Wandlungsphase Feuer, die aus dem Holz entsteht. Somit bewirkt das Streben der Hun-Seele auch die ständige Gefahr der Kollision eigener, persönlicher Intentionen mit der Umwelt. Haben doch alle anderen Individuen in der Regel ebensolche Intentionen – zumindest muss man jederzeit damit rechnen.
Harmonisiert wird diese „holzige“ Seele nun durch die Körper-Seele Po:
 „Nach der Geburt vermittelt uns die Körperseele die Fähigkeit des Empfindens und Fühlens. Wenn Po präsent ist, sind Augen und Ohren scharf und können Töne und Farben unterscheiden.
"Die Körperseele ist aktiv und beweglich, über sie können Schmerzen und Jucken empfunden werden." Zhang Jie Bin, Autor des Lei Jing

Wir sehen hier die Beziehungen Metall-Lunge-Haut-Po, vermittels derer sinnlich wahrgenommen werden kann. Dies erklärt z. B. die somatische Darstellung von emotionalen Spannungen auf der Haut oder unerträgliches Hautjucken, das zum Wahnsinn treibt.
Es ist die Po-Seele, über die wir die Nadelsensation (de qi) bei der Akupunktur erfahren. Die zunehmende Entspannung im Verlauf einer Nadeltherapie und die Verbesserung der Nadelempfindung beim Patienten sind Ausdruck einer entspannten und präsenten Po-Seele.“1 Die Po-Seele läßt uns bei jeder Berührung die Grenzen unseres Körpers erfahren, ebenso wie bei jeder Ein- und Ausatmung die Grenzen unseres Leibes.
Die Akupunktur bewirkt mit ihrer Betonung gerade der Nadel-Sensation, des Verspürens von Veränderungen im Bereich des Leitbahnsystems, einen der verausgabenden, kämpferischen Energie der Hun-Seele gegenläufigen Impuls. Und nicht nur das –das durch die Nadelung bewirkte Zurückführen des Qi bewirkt wiederum eine Stärkung der Essenz Jing als Basis für eine Stärkung der überstrapazierten Hun-Seele:


"Po, das ist der Geist des Jing.
Es gibt Leere und Fülle (des Jing).
Ohren und Augen können dann hören und sehen.
Sehen ist leuchtendes Yang, Hören ist wirksames Yin."

 

Grenzen ziehen und Verlassen- Immanenz und Transzendenz
Jeder Mensch baut im Laufe seines Lebens einen mehr oder weniger grossen Schatz an Erfahrungen auf. Erfahrungen an Wissen, an Kenntnissen, an Gefühltem und Erlebten. Das METALL läßt es uns spüren, was wachsen und reifen, was existieren lässt. Der Mensch kann aber auch den eigenen Standort/-punkt/-Zeitpunkt verlassen. Er kann sich loslösen aus dem Immanenten, kann andere Positionen einnehmen, Empathie mit anderen Menschen erfinden, in die Zukunft oder in die Vergangenheit sich versetzen- losgelöst, aber dennoch basierend aus dem Erfahrbaren in der Lebenspraxis.
Die Immanenz erst läßt uns neugierig sein, empfänglich für Einflüsse aus dem Makrokosmos, für Schwingungen auch feinster Art – Einflüsse der Transzendenz. Dies ist entscheidend für Empfindungen auch außerhalb unserer "normalen" Erfahrungen und der aus ihnen gewachsenen Vorstellungs- und Erklärungskraft, für übersinnliche Wahrnehmungen. Auch Paracelsus hat in seinen fünf Entien, den fünf Daseinszuständen diesen Lebensaspekt als ENS SPIRITUALE bezeichnet, in dem die eigenen Grenzen überschritten werden zum Erlangen neuer, der großartigsten Erfahrungen. Aus dieser Transzendenz (lat. Transcendere, überschreiten) erwächst dann das gewaltige, erhebende Gefühl, eingebttet zu sein in ein großes allumfassendes System, es erwächst daraus das unschätzbar wertvolle Gefühl des Einsseins mit dem Kosmos, der Natur. Und somit dann auch wieder ein Zuwachs an Immanenz, des Einsseins mit der Welt.
Ein Einssein mit dem Kosmos - das war und ist das Ziel jeglichen spirituellen und auch philosophischen Strebens gewesen, sei es nun im Orient oder im Occident. Vielleicht war der Verlust jeglicher Religiosität und Spiritualität die Voraussetzung für die zweifelsohne gewaltigen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte und einer ebenso gewaltigen geistigen und ethischen Verarmung. Unkalkulierbare Katastrophen und Elend lassen jetzt umdenken und diese Rück- und Anbindung an die kosmischen Strukturen und Dimensionen wieder in den Vordergrund rücken. 

Gerade in Grenzsituationen wie Tod, Kampf und Leiden wird der Mensch auf seine eigene Existenz zurückgeworfen, er erfährt die Grenzen des Daseins, die Endlichkeit des Lebens erst im Sterben und Vergehen der Mitwelt. Der innerweltliche Halt, den der Mensch durch seine äusseren Bedingungen und Beziehungen erhält, zerbricht und er erfährt seine Offenbarung als ein Wesen in der Relativität der Geschichte: entstehend und vergehend. Es öffnet sich dann die im wahrsten Sinne des Wortes „wundersame Welt“ von dem, was nicht greifbar, fassbar, sichtbar und auch nicht mit Worten auszudrücken ist.

 

Es ist das Nicht-Geschaffene, Nicht-Endende, die faszinierende Vorstellung einer Instanz der Ewigkeit, die gerade in der christlichen, aber auch in vielen anderen Religionen in der Vorstellung Gottes zusammenfließt. Opfer- und Begräbnisrituale sind dann häufig auch die Gelegenheit, bei der der Mensch eine transzendente Wahrnehmung entfalten kann.

Diese Grenzen des Daseins wahrzunehmen bedeutet über einen Rahmen für das verbleibende (immanente) Kostbare zu verfügen und gleichzeitig immer wieder zu ahnen zu versuchen, was jenseits dieser Grenzen liegt – das ist die Essenz der Wandlungsphase Metall. Beide Aspekte bedingen einander – nur die Grenze gewährleistet das Erkennen vom Jenseits der Grenze. Und dieses Erkennen der Endlosigkeit wiederum lässt in die Sicherheit der vertrauten Wahrnehmungswelt zurücksehnen. Transzendenz und Immanenz sind zwei Seiten des Metalls: das Feste und Bewahrende, das als Basis der Existenz durch Strukturen und Systeme gesichert wird. Und das in die Unendlichkeit aller möglichen Erkenntnisse und Erfahrungen sich auflösende Metall-Yang. 

 

Askese – das Körperliche verlassen
Wenn wir nun das Körperliche, das Bestehende dem Immanenten und somit dem Metall-Yin zuweisen, so sind alle Tendenzen, die die Grenzen des somatischen Ich verlassen, in der Terminologie der Chinesischen Medizinphilosophie dem Metall-Yang zuzuschreiben. Grenzen werden gezogen, müssen für die Wahrung der Existenz auch gesetzt werden. Das Leben bedeutet jedoch bekanntermassen Qi=Bewegung. Grenzen verändern sich, nicht nur im geografisch-politischen Sinne. Horizonte erweitern sich- das fängt beim Kleinkind an, das das Kinderbett neugierig krabbelnderweise verlässt und die anderen Räumlichkeiten und womöglich Mitbewohner seines Zuhauses erkundet. Das Verlassen der Ebene von Körperlichkeit bedeutet aber auch die Bindungen zum Irdischen und zur gegenwärtigen Welt aufzugeben. Die Askese, die Entsagung des Irdischen ist in allen Kulturkreisen/Religionen die Voraussetzung zur Erlangung von Erkenntnissen, vom Erahnen himmlischer, also -nicht-irdischer Sphären.
Im alten Griechenland wurden diese Übungen als askesis bezeichnet und dienten zunächst dem Erlernen von Fähigkeiten, später dann zur Erlangung von Tugenden. Im Vordergrund stand jeweils die Askese des Körpers, die dann auf die Seele einwirkt - eine bis in die heutige Zeit für das westliche Denken prägende Trennung zwischen Körper und Seele, die in der dreiteiligen Hierarchie des R. Descartes von Geist-Seele-Körper ihre auch in der modernen westlichen Einstellung vorläufige Endfassung erhielt.
Heutzutage wird Askese als Entsagung betrachtet, die jedoch in verschiedenen Formen im Westen wie im Osten zu beobachten ist.
Die ausserweltliche Askese besteht in einem Rückzug aus dem Alltag, aus der normalen Welt. Sie hat eine große soziale Relevanz in Klöstern und Einsiedeleien bewiesen. Im Osten hat sich insbesondere der Buddhismus auf diesen Weg der Askese begeben, ihm folgend dann der Daoismus im Verlauf der Adaption an den Buddhismus in der südl. Song-Dynastie. Wenngleich ursprünglich der Glaube an Gott eine positive Beziehung zur Welt beinhaltete, führte der Einfluss des Hellenismus auf das Juden- und Christentum zur Ausbildung asketischer Tendenzen. Im Westen wurden die ersten Klöster schon sehr früh von den Kopten in Ägypten gegründet, später folgten dann vielerlei verschiedene Ordensgemeinschaften, die außerhalb der weltlichen Ordnung ein eigenes Leben mit dem Ziel der Festigung der Seele und der Nähe zu Gott führten.
In diesem Rahmen unterwarfen sich die Mönchen und Nonnen der klösterlichen Disziplin, in deren Rahmen die Askese ihren festen Platz einnahm. Die Disziplin sollte die Tugend formen, die Wünsche und Begierden sollten transformiert werden wie das Ersetzen von cupiditas durch caritas, wie es Bernard von Clairvaux, der Gründer des Zisterzienserordens forderte. Diese Form der Askese war fremdbestimmt, wenngleich sich die Ordensmitglieder zunächst scheinbar freiwillig den Regeln unterwarfen.
Der Verzicht auf Heirat im Zölibat bedeutete neben der Enthaltsamkeit von Sexualität vor allem den Verzicht auf Nachkommen. In der Fortpflanzung sahen sowohl buddhistische Asketen als auch christliche Mönche ein Verhaftetsein an der irdischen Welt. Für den Buddhismus bzw. dem Jainismus war dies ein Verbleiben im Rad der Wiedergeburten. Für den christlichen Mönch bedeutete die Fortpflanzung die Weitergabe der Erbsünde. Dieser Verzicht auf die Fortpflanzung war gleichzeitig der Verzicht auf das Eingebundensein in die Gesellschaft für Mönche und auch Nonnen. Ebenfalls Signale für die außerweltliche Askese sind das Wandern der Mönche und das Betteln, das in vielen religiösen Gemeinschaften praktiziert wird.
Vorgeschriebene Fastenzeiten wie im Christentum und im Islam sind ebenfalls solche Askeseformen, die nicht dem eigenen Antrieb, sondern einer Fremdbestimmung unterliegen und dann womöglich als eigener Antrieb übernommen werden.
Gesellschaftliche Verpflichtungen oder Normkonventionen sollen nun auch gelegentlich zu Verzicht oder zur Askese führen. Sie sind zu unterscheiden in Herkunft und Auswirkung von der im nächsten Abschnitt beschriebenen innerweltlichen Askese, die anderen als profanen Zielen dienen soll. Es sind dies Verzichtshaltungen, die z.B. die Nicht-Anpassung, das antizyklische Verhalten gegen den "Geist der Zeit"  demonstrieren sollen: das Nicht-Fastfood- Essen, Nicht-Fernsehen und auch das Nicht- Konsumieren. Die Entsagung von der Fülle, die Zuwendung zur Leere aus Sattheit und Überfüllung: 

"Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen" (Goethe)

Gerade die ökologische, vermeintlich oder tatsächlich naturverbundene Bewegung hat recht häufig solche asketischen Züge angenommen. Das "Natürliche", unverarbeitete, nicht-verfeinerte, ursprüngliche gilt als "gesund". Das Sinnliche, das Empfinden wird durch scheinbar "rationale" Aspekte verdrängt, Gesundheit und eine imaginäre "Natürlichkeit" werden zum Selbstzweck. Das kratzende Leinenhemd, das ursprüngliche Leben auf einem Bauernhof, der die Gedärme in Aufruhr bringende Getreidebrei ist jenseits der Sinnlichkeit Emblem für asketische Enthaltsamkeit für die schnöde moderne Welt.
Die innerweltliche Askese hingegen ist ein individueller Weg, der durch eine Flucht aus der profanen Alltagswelt zu neuen Erfahrungen, Gefühlen, Erleben und Erkenntnissen führt. Es ist der Weg zur Transzendenz, des Erfahrens einer Grenze, die das darin Verbleibende (immanent) einschließt und übersteigt. Insofern beschreibt dieses Begriffspaar transzendent-immanent die Ebene des Daseins, wie sie durch die Wandlungsphase Metall in der chinesischen Medizinphilosophie erfasst wird. Auch Paracelsus hat in seinen fünf Entien, den fünf Daseinszuständen diesen Lebensaspekt als Ens spirituale bezeichnet, in dem die eigenen Grenzen überschritten werden zum Erlangen neuer, der großartigsten Erfahrungen. Hieraus erwächst dann das gewaltige, erhebende Gefühl, eingebettet zu sein in ein großes allumfassendes System, es erwächst daraus das unschätzbar wertvolle Gefühl des Einsseins mit dem Kosmos, der Natur. Aus diesen Erfahrungen und dem daraus entstehenden tiefen religiösen Gefühl (lat. religio-Rückbindung, Einbindung) kann eine stabile Basis, die Wandlungsphase Wasser erwachsen. 
Das Metall ist dadurch charakterisiert, dass es Grenzen setzt, dadurch dem Dasein eine Form gibt (wie z.B. den Körper, die Haut...) und auf der anderen Seite diese Grenzen durchlässig sein lässt (Schweiß, Eindrücke, Empfindungen...). Und auch dadurch, dass diese Grenzen ständig erweitert bzw. verändert werden können und der Mensch in der Lage ist, diesen Rahmen zu verlassen und anderes als das Immanente- eben das Bestehende, Erfasste- wahrzunehmen und zu erkunden.
In der Transzendenz erfährt der Asket seine Grenzen und nähert sich dem Grenzenlosen, dem Göttlichen oder dem Nirwana. Im Daoismus erlangt er die Langlebigkeit und die Unsterblichkeit. Der transzendente Asket entwickelt Kräfte jenseits der angestammten Wirkmöglichkeiten, er kann Göttliches vollbringen. Er kann Heilen, Wirken, Weissagen und Hellsehen.
Dieses Streben nach Transzendenz ist Merkmal der vielen Formen der Askese, die es in nahezu allen Religionen zu beobachten gibt. Asketen entwickelnd ihre Tugend, ihre Kraft durch ritualisiertes asketisches Leben, werden deshalb verehrt, angebetet, zu Göttern erhoben oder zu Heiligen geweiht


Bedürfnisse von Körper und Seele werden in der Suche nach Selbsterfahrung negiert und transformiert. Die Umwandlung von Sexualität, bzw. der biologischen Schöpfungskraft wird hierbei ganz entscheidend, indem sie in eine kosmische Schöpfungskraft gewandelt wird. Der Tod ist somit dann die Erlösung aus dem quälenden Kreislauf der Wiedergeburt, und indem z.B. der hinduistische Asket sich schon zu Lebzeiten dem Tod, dem Schlechten, den Abfällen zuwendet, erreicht er den absoluten Tod und somit die Erlösung. Er wird dann auch nicht verbrannt -und somit wieder der Welt zugeführt-, sondern in der Erde bestattet.
Im der daoistischen Praxis des Neidan (Chinesisch:内 丹, "innerer Zinnober") wird stufenweise von körperlichen bis zu geistigen Übungen die Erleuchtung des Einzelnen erreicht.
Der Körper ist hierbei das entscheidende Instrument für die Askese. Anders als in westlichen Askesetraditionen ist der Körper Instrument für den Heilszweck, er dient nicht der Festigung der Tugenden oder der Seele. Der hinduistische Asket verabschiedet sich von den Emotionen dieser Welt, der christlich-abendländische Asket hingegen praktiziert die Askese des Körpers zur mortificatio carnis, zur Abtötung des Fleisches und Reinigung der Seele.
Askese als Weltensagung kann jedoch ebenso leidenschaftlich und ekstatisch sein wie ihr Gegenstück, das Auskosten der Genüsse. Dann ist der Asket ein - nach Nietzsche- "vergöttlichtes und flügge gewordenes Thier, das über dem Leben mehr schweift als ruht" und nicht wie die christlichen Mönche, die er als "verunglückte Schweine, die man dazu gebracht habe, die Keuschheit anzubeten" beschreibt. Diese praktizieren dann - was auch von frühen Theologen als Sünde gebrandmarkt wird, die "Selbstverkrümmung" incurvatus in se ipsum.

"Freiheit von Zwang, Störung, Lärm, von Geschäften, Pflichten, Sorgen; Helligkeit im Kopf; Tanz, Sprung und Flug der Gedanken; eine gute Luft, dünn, klar, frei, trocken, wie die Luft auf Höhen ist, bei der alles animalische Sein geistiger wird und Flügel bekommt; Ruhe in allen Souterrains; alle Hände hübsch an die Kette gelegt; kein Gebell von Feindschaft und zotteliger Rancune; keine Nagewürmer verletzten Ehrgeizes; bescheidene und unterthänige Eingeweide, fleißig wie Mühlwerke, aber fern; das Herz fremd, jenseits, zukünftig posthum" Nietzsche, Genealogie der Moral

Die innerweltliche Askese führt also zu einer Transformation der - notwendigerweise mit dem Körper als Reaktionsebene untrennbar verbundenen - Sinnlichkeit.

 

Die innerweltliche Askese besteht nach Max Weber:
(a) in der "wachen, rational beherrschten Lebensführung und Vermeidung aller Hingabe an die Schönheit der Welt oder die Kunst oder an die eigenen Stimmungen und Gefühle" als ihren ,,Anforderungen",
(b) im "Berufsmenschen als dem typischen Repräsentanten" und 
(c) in der ,,rationalen Versachlichung und Vergesellschaftung der sozialen Beziehungen" als deren "spezifische Folge" .
Wie M. Weber es formuliert, kommt es am Ende des religiösen Rationalisierungsprozesses zu dem "Gefühl einer unerhörten inneren Vereinsamung des einzelnen lndividuums", dem kein Prediger, kein Sakrament, keine Kirche und in letzter Konsequenz auch kein Gott mehr helfen kann. 
Auch das eine Folge der Askese - der gewaltige Aufbruch Europas aus dem Mittelalter in die Neuzeit des Kapitalismus ist wohl nur möglich geworden durch die Freisetzung vorher religiös gebundener Kräfte durch die asketischen Tendenzen des Protestantismus. Aber gleichzeitig auch die sinnliche und emotionale Wüste, in der viele Menschen heutzutage auf der Suche nach Transzendenz in östlichen Philosophien und Heilsystemen fündig werden.
Lassen Sie uns die Grenzen unserer Welt erkennen und neugierig – wie die Baustelle durch das verlockende Loch im Bauzaun- das noch nicht Erfasste erahnen und erkunden!

Zum Weiterlesen die Standardwerke zu den 5 Wandlungsphasen:
Lorenzen, Udo; Noll, Andreas, 1992-heute, Die Wandlungsphasen der Traditionellen Chinesischen Medizin, Band 1-5, München: Müller&Steinicke/Naturmed Fachbuchverlag

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